Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (Zentrum) führt Stand Ende März 2025 insgesamt 583 geförderte Projekte auf der eigenen Homepage an.1 (Abb. 1) Davon werden 27 Projekte dem Kontext Sowjetische Besatzungszone und Deutsche Demokratische Republik (SBZ/DDR) zugeordnet. Ohne Berücksichtigung des hier thematisierten Projektes findet sich unter den 27 Eintragungen nur ein Pilotprojekt zu Erstchecks, bei den anderen handelt es sich ausnahmslos um Grundlagenforschung. Seit 2024 ist es möglich, bei Vorliegen eines Rückübertragungsanspruchs, eine kurzfristige Förderung des Zentrums zu beantragen. Das heißt, neben Grundlagenforschung wird nun erstmals auch einzelfallbezogene Forschung im Bereich SBZ/DDR unterstützt. Das erste derartige Projekt wird in diesem Artikel kurz vorgestellt.

Das auf sechs Monate angelegte Kurzprojekt „Ermittlung von in der Bodenreform enteigneten Bibliotheksbeständen aus Schloss Frohburg (Sachsen), die dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zur Prüfung des Rückübertragungsanspruchs nachgemeldet werden sollen“ ist in den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) angesiedelt2. Der zu untersuchende Bestand befindet sich in der Bibliothek des Museums für Völkerkunde Dresden (MVD). Seit dessen Gründung 1875 ist sie eng mit dem Museum verbunden, gehörte administrativ zu ihm und es gibt gemeinsame Schnittmengen bei Einlieferern. Seit der Fusion der drei Museen für Völkerkunde in Dresden, Leipzig und Herrnhut zu den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen im Jahr 2004 sowie der Anbindung dieser an die SKD im Jahr 2010 untersteht die Bibliothek des MVD fachlich der Kunstbibliothek der SKD und seit 2018 administrativ der zentralen Abteilung Forschung. Eine systematische Provenienzforschung im Bibliotheksbestand des MVD war bisher unter anderem aufgrund der Personalsituation nicht möglich, lediglich nach Anfragen von außen wurden einzelne Bestände geprüft. Unterlagen und Inventare vor 1946 haben sich nicht erhalten und die Erfassung der Bibliotheksbestände (sowohl von Altbeständen als auch von Neuzugängen) erfolgte erst wieder nach Ende des Zweiten Weltkriegs ab 1946. In den Zugangsbüchern wird bereits durch Angaben zu Erwerbsquellen deutlich, dass sich Bibliotheksgut aus mehreren sogenannten Schlossbergungen in den Magazinen befindet3. Schlaglichtartige Einzelfallprüfungen ergaben zudem, dass sich in verschiedenen Titeln eindeutig identifizierbare Provenienzmerkmale, welche die Herkunft aus einem enteigneten Schloss oder Gut belegen, finden.
Im ersten Zugangsbuch nach 1945 (Laufzeit 1946 bis 1954) lassen sich unter den mit „Schloßb.“ verzeichneten Einträgen 115 Positionen dem für das Projekt relevanten Schloss Frohburg in Sachsen zuordnen. (Abb. 2)

Schloss Frohburg liegt im Westen Sachsens nahe der Grenze zu Thüringen, circa 40 Kilometer südöstlich von Leipzig. Der heute noch vorhandene Bau geht auf eine romanische Anlage aus dem 13. Jahrhundert zurück.4 (Abb. 3) Die Alteigentümer wurden 1945 im Rahmen der Bodenreform enteignet und das Inventar eingezogen. In der Zeit von SBZ/DDR wurde das Schloss, wie in vielen Fällen üblich, für öffentliche soziale Einrichtungen genutzt, bis 1972 das noch heute darin ansässige Museum Schloss Frohburg einzog.

Unter dem beschlagnahmten beweglichen Inventar befand sich auch eine circa 10.000 Bände umfassende Bibliothek, welche auf Dresden und Leipzig verteilt wurde. Das nach aktuellem Stand am häufigsten vorkommende Provenienzmerkmal im Konvolut der Bibliothek des MVD ist der Stempel „v. F.“ (Abb. 4) Dieser zeigt das Wappen derer von Falkenstein: ein Wappenschild mit hermelingesäumtem Spitzhut, auf dem ein Helm mit ebensolchem Spitzhut sitzt.5 Darunter steht die Bezeichnung „v. F. [von Falkenstein]“. Der Stempel wird in einschlägigen Datenbanken für Provenienzmerkmale geführt und Johann Paul Freiherr von Falkenstein (1801–1882) zugeordnet.6

Bei den mit Schloss und Enteignung in Verbindung stehenden Personen handelt es sich vor allem um die Familien von Falkenstein sowie Krug von Nidda. Nach einer wechselvollen Besitzergeschichte, an der im 19. und 20. Jahrhundert neben den beiden genannten auch die Familien Blümner und Gruner beteiligt gewesen waren, befand sich Schloss Frohburg vor der Bodenreform zuletzt im Besitz von Hans-Carl Ludwig Rabe Krug von Nidda und von Falkenstein. Nach seinem Tod 1990 stellten die Erben Anträge auf Rückgabe beweglicher Sachen aus Schloss Frohburg. 1992 ging eine erste Anfrage zu Kunstgut der Familie Krug von Nidda und von Falkenstein in den Beständen der SKD ein, in der sich auf die „Recherche zum Verbleib von Möbeln, Gemälden, Büchern, Uhren, Porzellan und Gläsern nach der sogen. Bodenreform“ bezogen wird. Seither erfolgte in zwei Fällen eine gütliche Einigung zwischen den SKD und den Erben der Krug von Nidda und von Falkensteins auf Grundlage des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes (EALG)7.
Ziele des hier vorgestellten Kurzprojektes sind die Autopsie und Dokumentation aller Titel in der Bibliothek des MVD, die durch die Zugangsbücher Schloss Frohburg zugeordnet werden können, sowie die Dokumentation der enthaltenen Provenienzmerkmale. Parallel zum Projekt des Zentrums sollen von einer weiteren Mitarbeiterin bereits zuvor in der Kunstbibliothek der SKD als Frohburg-Bestand identifizierte Medien ebenso dokumentiert werden. Gemeinsam soll dann eine Nachmeldung der Funde über die Rechtsabteilung der SKD an das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen erfolgen.
Im Idealfall kann dieses kleine Projekt den Anstoß geben, die Bibliotheksbestände der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens in Dresden und Leipzig künftig systematisch nach enteigneten Titeln aus SBZ-, DDR- und NS-Zeit zu durchforsten. Anhaltspunkte dafür sind ausreichend vorhanden. So sind neben Frohburg in den Zugangsbüchern des MVD nach 1945 weitere Schlossbergungsorte verzeichnet und sowohl in Dresden als auch in Leipzig wurden bereits für ein etwaiges Projekt im NS-Kontext Eingangsquellen und Provenienzmerkmale gesichtet, die problematisch sind bzw. sein können.
1 Projektfinder des Zentrums: https://kulturgutverluste.de/projekte?search=&sort_by=title_asc.
2 Neben „Privater Kunsthandel nach 1945 in Dresden“ (Albertinum) und „Studie zu den Beziehungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit den Außenhandelsfirmen der DDR anhand der Bestände des Dresdner Kunstgewerbemuseums und ausgehend von der Kunst und Antiquitäten GmbH“(Kunstgewerbemuseum und Kupferstichkabinett) ist es das dritte aktuell laufende vom Zentrum geförderte Projekt im Kontext SBZ/DDR an den SKD. Vgl. Forschungskanal SKD Projekte: https://forschung.skd.museum/projekte/
3 In Sachsen wurde in zeitgenössischen Quellen für die Enteignung von Kulturgut im Rahmen der Bodenreform teilweise der Begriff „Schloßbergung“ genutzt, welcher sich auch in der heutigen (Provenienz-) Forschung wiederfindet.
4 Vgl. Zeittafel Schloss Frohburg auf der Homepage des Museums Schloss Frohburg: https://www.museum-schloss-frohburg.de/geschichte/zeittafel/index.html.
5 Wappenbeschreibung s. u. a. Jahrbuch des Deutschen Adels, 1. Bd., Berlin, 1896, S. 619.
6 https://www.deutschefotothek.de/documents/obj/71537915 und https://provenienz.gbv.de/Datei:Falkenstein_Johann_Paul_von_Stempel_Wappen_DE-1_37MA13013.jpg; Lebensdaten lt. Neue Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/gnd116396245.html#ndbcontent.
7 U. a. Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 3146 (https://skd-online-collection.skd.museum/Details/Index/620492)
Tina Oppermann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und für die Provenienzforschung in den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens tätig.
Gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste

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RETOUR - Freier Blog für Provenienzforschende (9. April 2025). Deutsches Zentrum Kulturgutverluste fördert erstes fallbezogenes Projekt im Bereich SBZ/DDR in der Bibliothek des Museums für Völkerkunde Dresden. RETOUR. Abgerufen am 19. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13pqz